Tom Jonas Müller

Es besteht immer die Möglichkeit.

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Herkunft

1982

1995

Halb Ost,

Halb West

,

Halb Süd

Berlin-Friedrichshain, AlTglienicke, Neukölln, Neapel

ALS DIE MAUER FIEL war ich gerade sieben geworden. Meine Eltern waren aus dem Thälmannpark in Berlin-Friedrichshain in eine Doppelhaushälfte an den Stadtrand im Südosten gezogen, in die Nähe des Flughafen in Schönefeld. Am Himmel war immer ein Flugzeug auf dem Weg in die weite Welt, die mir doppelt verschlossen war: als Kind und als Kind der DDR.

Ich ging auf die Anne-Frank Oberschule und es war ein Freitag. Wir lernten das Ausrufezeichen, die meisten meiner Mitschüler fehlten. Am nächsten Tag - wir hatten auch samstags Unterricht - hatten sie alle neue Spielsachen, ein großer gelber Bagger mit beweglicher Schaufel z.B. den sehe ich noch heute vor mir. Am Nachmittag fuhren auch meine Eltern, mein Bruder und ich rüber. Eine befreundete Familie wohnte am Hermannplatz, deren Kinder waren in unserem Alter. Auf der Rudower Chaussee kurz hinter dem Niemandsland standen Menschen und winkten uns, wir winkten zurück und an den Ampeln reichten sie Tüten mit Milkaschokolade und Haribo zu uns ins Auto. Von unserem Teil des Begrüßungsgeldes kauften mein Bruder und ich einen Lego Pick Up Truck bei Woolworth. Stolz betraten mein Bruder und ich die Wohnung unserer Bekannten und präsentierten die Süßigkeiten aus unserer Tüte. Zum ersten Mal waren nicht sie die Spender, sondern wir.

Keiner von uns ahhnte, wie teuer uns diese Begrüßungsparty einmal zustehen kommen würde. Die Volkskammerwahlen im März ‘90 waren ein Schlag. Der Anschluss an die BRD und der Einigungsvertrags ein weiterer. Bei der Unterzeichnung senkt DDR-Staatssekretär Günther Krause den Kopf als Zeichen der Kapitulation. Gesenkte Köpfe, tragen bald viele.

NAch drüben

1995

2001

Schlimme Witze hinter sonnen-brillen

Berlin-Friedrichshain, AlTglienicke, Neukölln, Neapel

TÄGLICH UM 07 Uhr 07 nehme ich den Bus und fahre nach Westberlin. Nach Neukölln. Für mich ist das die Wende. Alles neu. Die Albert-Einstein-Oberschule überzeugt mich mit einem großen, grünen Schulhof, drei Turnhallen und meine Eltern mit ihrem guten Ruf. Um einen Platz zu bekommen, muss ich mich für Italienisch als zweite Fremdsprache entscheiden. Heute ist die Schule durchgehend zweisprachig, wir waren Versuchskaninchen oder: die Pioniere.

Der Sound an der Schule ist roh, es gibt wenig Freundschaften in unserer Klasse, nur Verbündungen und Hierarchie. Gut behütete Bürgerkids aus Britz und Rudow, dicke Ärsche in Bagypants, Air Jordans am Fuß, die Judenwitze reißen, weil das Tabu ist und geil kickt. Ich lese Bret Easton Ellis und Oscar Wilde.

Manchmal sind die besten Entscheidungen, die die man nicht getroffen hat. Italienisch ist ein Glückfall. Madonna mia! Die Schule wird ihrem guten Ruf gerecht. Im Rahmen eines Comenius-Projekts werden Schüleraustausche mit einer Klasse aus Trient und einer aus Castellamare di Stabia im Golf von Neapel organisiert. Im Jahr 2001 wechsle ich auf eigenes Betreiben für ein Halbjahr dorthin. Neben Italienisch lerne ich jetzt: Napoletano.

Der Wechsel bleibt meine Konstante. 2002 verweigere ich den Wehrdienst und schreibe mich für den Anderen Dienst im Ausland ein, einen Ersatzdienst zum Zivildienst. Der Ort heißt Galaxidi und liegt am Golf von Itea, am Fuße von Delphi und dem Parnass Gebirge, laut der griechischen Mythologie der Berg auf dem die Musen wohnen. Ein Jahr lebe und arbeite ich mit Griechinnen und Griechen mit Behinderung. Ich lerne Griechisch. Hier beginne ich zu schreiben. Umbrüche können ein festes Fundament sein.

Ich bin 21 Jahre alt. Eine Rückkehr nach Deutschland erscheint verfrüht. Erst habe ich Goethe gespielt, dann bin ich Hölderlins Hyperion gefolgt, auf die nächste Etappe führt mich Bruce Chatwin.

Mit einem deutschen Kollegen gehe ich auf Weltreise. Das machte man so zu der Zeit, die Welt zu entdecken, das gehörte zum Erwachsenwerden, zur education sentimentale. Von Neuseeland über u.a. Australien, Indonesien, Thailand, Vietnam, China, die Mongolei und Russland zurück nach Griechenland. Und schließlich, unvermeidlich, Deutschland. Ausgerechnet Tübingen, Hölderlins Stadt.

Lehr- & Wanderjahre

2001

2010

Das Nashorn im Walde

Tübingen, Pisa, Perugia.

IN TÜBINGEN, Pisa & Perugia habe ich Germanistik und Romanistik studiert und mit einer Arbeit über Kitsch und Migration (“Das Nashorn im Walde”) abgeschlossen.

Im Verlag

2012

2025

Nobelpreis für Han Kang & Spaziergänge mit Bernie Sanders

LONDON, Berlin, STOCKHOLM

AN EINEM DONNERSTAG kriege ich einen Anruf, mein ehemaliger Chef ist dran. Er gratuliert mir, ich sei jetzt offiziell Nobelpreisträgerentdecker. Han Kang bekommt den Nobelpreis 2024. Die ganze Story habe ich hier erzählt —> MEHR

2012-2018 habe ich im Aufbau Verlag gearbeitet, später das Imprint Blumenbar geleitet. Bios Ende 2025 war ich Verlagseliter bei Tropen. Genausoschön aber war es, die Booker Prize Trägerinnen Anna Burns und Bernardine Evaristo nach Deutschland zu bringen.

Unvergesslich und vielleicht einmalig aber waren die vier Tage mit Bernie Sanders in Berlin. Ihn und seine Frau durch Berlin zu führen, sich kennenzulernen, das gehört sicher zu den schönstebn Erlebnissen meines Verlegerdaseins.

Bücher & Co

Schreiben

DER AMERICAN DREAM der Zonenkinder

Berlin

MEIN DEBÜTROMAN Roman »Die jüngsten Tage« (2019) stand auf der Shortlist des ZDF-Aspekte-Preises für das beste Debüt des Jahres. Die Zeit zählte Müller 2019 zu den „100 wichtigsten jungen Ostdeutschen“.

Status Quo

s0nstig3s

ADHS & und andere Hobbies

Hier und Jetzt

DIE DIAGNOSE ADHS kam spät. Da hatte ich m,ich schin damit arrangiert. Ein positiver Nebeneffekt dieses Zappelphilipp ist, dass ich viele Sportarten gelernt habe: Reiten und Segeln, Baskettball, Tennis und Volleyball, Schwimmen und Klettern. Meistens aber boxe ich für den SC Lurich 02 und spiele bei der DFB-Autorennationalmannschaft auf den Außenbahnen. Inzwischen bin ich wieder in Berlin-Neukölln zu Hause.

Ich bin Mitglied der Gruppe Arbeit an Europa, Host der ReadParade, der ersten Love Parade für Literatur. Und schreibe für FAZ, taz und Deutschlandfunkkultur.